Von Lauenen nach Lauenen
Marschzeit 4h
Strecke 7.5 km auf 519 m ab 463 m
Karte/n 1:50'000 263T
Anforderung:
Unten, am westlichen Fuss der Wispile, liegt Gsteig. Ein uriges Dörfchen abseits der grossen Touristenströme und deshalb noch weitgehend sich selbst.
Von hier mache ich einen Bogen um die asphaltierte Strasse dem Bach entlang und steige dann bergan durch die Siedlung Rohr. Dem Wasserlauf entgegen folge ich einem Bachlauf, dessen Name die Karte nicht verrät - vielleicht Saali? Auf fast 1400müM verlässt der Weg den Bach, wechselt also vom Innere Saaligrabe in den Üssere Saaligrabe und ersteigt den höchsten Punkt der Route, die Chrine auf 1659müM.
Der Blick in die Runde ist fantastisch: Im Süden lugt der Gipfel des Spitzhore hinter der Walliser Wispile hervor, dahinter thront stolz das Wildhorn und im Norden erstreckt sich der Kamm der Wispile bis hinunter nach Gstaad. Auch mein Startort Gsteig ist weit hinter und unter mir noch auszumachen.
Zwischen Brandsberg und Chrinetritt überschreite ich die Wasserscheide, und der Weg senkt sich deutlich. Durch die Brüchi nähere ich mich den verstreuten Häusern von Sattel mit einem Skilift. Hoffentlich bringen die kommenden Winter auch genügend Schnee! Die Umgebung ist moorig und ich entdecke eine Vielfalt typischer Blumen im kleinen Sumpf.
Schon von Weitem grüsst das Dorf Lauenen, von dem auch Span in seinem Lied geschwärmt hat. Die Postauto-Haltestelle liegt vorn bei der Kirche, deshalb kann ich das wunderschöne Bild der Häuser richtig in mich aufsaugen.
Mannigfach sind die Schildrungen über Erscheinungen des Totenvolkes im Gebiete der Alpen. Manchmal soll es als grausliche Prozession in unabsehbar langem Zuge, unablässig Gebete murmelnd durch nachstille Dörfer wandeln.
Schon seit langem war bekannt, dass sich in der Kirche von Gsteig im Saanenland das Totenvolk regelmässig zum Gottesdienste versammelt. Oft schon hatte der Mesmer in der Nacht die Kirchenfenster erhellt gesehen und den laute Worte der Predigt gehorcht. Aber niemals war es ihm gelungen, des Totenvolkes ansichtig zu werden, sooft er es auch versucht hatte. Aber auf irgendwelchem geheimnisvollem Wege war er an das Mittel gelangt, das ihm genau dies ermöglichen sollte.
Einmal in der Morgenfrühe eines trüben Sonntags, als er die Kirche wiederum vom Totenvolks angefüllt glaubte, schritt er rückwärts, ein Totenbein auf der linken Schulter die versammelte Geistergemeinde. Da sassen Männer und Frauen, so wie sie den Kirchhofe entstiegen waren, dicht gedrängt in den Bänken, und auf der Kanzel stand der längst verstorbene Pfarrer, welcher den Toten des Tales die ewige Predigt hielt.
Jede Furcht war dem Mesmer fremd, darum beschloss er kurzerhand, an dem unheimlichen Orte bis zum Schluss auszuharren. Seine Geduld wurde jedoch auf eine harte Probe gestellt. Seit Stunden bereits strahlte die Morgensonne vom Himmel und die Glocken hoben bereits zum Sonntagsläuten an, gleichwohl blieben die Schatten beisammen. Erst mit dem letzten Glockenschlag strömte die Schar zur Kirche hinaus zurück auf den Friedhof. Dort wurden sie von den Gräbern aufgenommen, lautlos und unsichtbar für die Talleute, die sich inzwischen zum eigenen Kirchgang vor der Türe versammelt hatten.
Dem Mesmer genügte, was er gesehen hatte, doch wollte er den Anblick des Totenvolkes auch anderen Menschen gewähren. Niemand weiss wieviele seither, ein Totenbein auf der Achsel und mit rückwärts gerichtetem Schritt seither die Kirche von Gsteig betreten, die tote Gemeinde beobachtet und den Worten des ehemaligen Pfarrers ihr Ohr geliehen haben.