Von der Elsigenalp nach Kandersteg
Marschzeit 3h
Strecke 7.3 km auf 434 m ab 1048 m
Karte/n 1:50'000 263T
Anforderung:
Der Aufstieg zum Golitschepass ist wie die Annäherung an eine geheime Tür, bei der man nicht weiss, was dahinter auftaucht, wenn man sie öffnet. Die felsige Kette der Verlängerung des Allmengrates vom Bunderspitz zum First und weiter nach Norden versperrt mir den Blick nach Osten bis ich auf der Kante stehe und sich unter mir das Kandertal ausbreitet. Und nicht nur das - dahinter erheben sich die stolzen Gipfel der Blüemlisalpkette mit den gleissenden Schneefeldern. Ein Blick, den man so schnell nicht vergessen dürfte!
Gestartet bin ich bei der Bergstation der Seilbahn. Nach einem kurzen Zmorge im ersten Restaurant ziehe ich entspannt aufwärts in weiten Schleifen dreimal unter dem stillgelegten Skilift hindurch zum zweiten Gasthaus in der Obere Elsige. Hier kehre ich nicht nochmals ein, denn mit vollem Magen geht es nicht leichter. Der Weg steigt nun stärker und zielt ziemlich genau auf die Kante zu, die hier den Horizont bildet. Es ist noch früh am Morgen und die Hänge liegen teilweise im Schatten. Das möchte ich ausnützen.
Die kleine Mulde zwischen Stand und Chilchhore scheint wie gemacht für diesen Anstieg. Die letzten Meter führen trotzdem in engem Zickzack hinan zur Passhöhe Golitsche. An diesem Punkt muss ich mich setzen, um den Moment richtig geniessen zu können.
Von nun an geht‘s bergab. Anfangs recht steil, aber als Belohnung winkt eine einladende Gaststube. Hier brauche ich mir zwar keinen Mut für den weiteren Abstieg anzutrinken, aber etwas Kühles in der Kehle tut immer gut. Ausserdem verläuft der Weg an der Ostflanke - ergo hat es am Nachmittag Schatten, und zwar je später umso mehr. Zwar bewege ich mich bereits unterhalb der Baumgrenze, aber der Weg weicht den Waldflecken konsequent aus.
Unterhalb der Under Höh taucht der wieder stotzigere Wege dann wirklich in die Bäume und überwindet die letzten Höhenmeter in einigen Spitzkehren, bevor er die Strasse der Verladestation und die Geleise beim Bahnhof Kandersteg überquert.
Blüemlisalp heisst das ehemals grosse Schneefeld an der Nordflanke der Berggruppe Morgenhorn, Wyssi Frau, Blüemlisalphorn. Diese Gipfel thronen hoch über dem Öschinensee, der das Schmelzwasser dieses Gletschers sammelt. Eine Seilbahn führt von Kandersteg hinauf auf den dem See vorgelagerten Buckel Ösch, und von dort gelangt man in 20 Minuten auf gepflegtem Weg an den See mit grossem Bergrestaurant und sogar einem Schiffliverleih.
Wie kam jedoch die Blüemlisalp zu ihrem seltsamen Namen, sieht man doch dort oben kein einziges Blümlein. Aber - in früheren Zeiten waren die Hänge bis hinauf zu den Gipfeln mit sattgrünem Gras und vielen bunt blühenden Pflanzen überzogen. Der Senn dieser Alp soll auch der reichste Bauer des Tales gewesen sein, weil er seine Kühe wegen des nahrhaften Futters dreimal täglich melken konnte. Doch mit dem Reichtum veränderte sich das bescheidene Wesen des Mannes. Seiner armen Mutter im Tal liess er keinen Almosen zukommen, aber seiner Geliebten, welche er auf die Alp geholt hatte, baute er eine Treppe zur Hütte aus lauter feinen Käselaibern. Sie sollte keine raue Haut an den Füssen von den Steinen bekommen. Die Strasse war mit zarter Butter überzogen und gewaschen wurde sie täglich mit frischer Alpenmilch.
Bei einem Besuch der Mutter auf dem Berg bettelte sie um eine Verpflegung, er jedoch reichte ihr ein Gefäss voller saurer Milch mit viel Sand darin. Da verfluchte die Alte ihren Sohn, und während sie auf der Rückkehr ins Tal war, ging ein schreckliches Gewitter auf die Alp nieder. Wütende Gletscherdrachen stürzten vom Berg hernieder auf die blühenden Weiden. Das Unwetter dauerte so lange, bis die ganze Alp kirchturmhoch mit Eis bedeckt war. Ein Gletscher hatte sich auf die Auen gelegt und alles unter sich begraben.
Noch heute soll man an nebenverhangenen Tagen die Stimmen des hartherzigen Sennen und seiner Geliebten hören, wie sie um Vergebung bitten.
aus der Berner Oberländer Zeitung