Vom Cavaglia nach Camera (Bernina-Linie)
Marschzeit 1h + 1h30min Besichtigung
Strecke 3.1 km auf 18 m ab 327 m
Karte/n 1:50'000 279T
Anforderung:
Von der Station Cavaglia zwischen den steilen Geländestufen auf der Bernina-Südseite mache ich mich auf den Weg ungefähr parallel zur wilden Cavagliasch. Die Strasse ist fast schnurgerade und schwenkt nach etwa 400 Metern brüsk nach rechts.
Dort liegt ein Parkplatz, von dem aus ich eintrete in den Giardino dei Ghiacciai. Auf gut unterhaltenen Wegen und über viele sichere Treppenstufen ziehe ich von Gletschermühle zu Gletschermühle. Ich lasse mir viel Zeit, die mystischen Töpfe mit ihren rund geschliffenen Kugeln auf mich wirken zu lassen. Wie lange muss es gedauert haben, bis solch fantastisch geformte Gebilde aus dem Fels geschmirgelt waren?
Nach über einer Stunde kehre ich zum Parkplatz zurück und überquere wieder den Fluss, um zwischen ihm und der Bahnlinie weiter zu ziehen. Der weiter oben breite Bach wird schmaler und das Tal mündet in ein Tobel, das auch die Bahn über eine neuere Brücke verlässt. Der Wanderweg benützt noch die alte und schwenkt nach rechts in die steile Flanke der Moti da Cavaglia.
Beim Abstieg entferne ich mich immer weiter von der Bahntrasse, weil ich zu Fuss steiler abwärts gehen kann. Gleichzeitig nähere ich mich dem weiter unten verlaufenden Geleise, das ich etwas unterhalb der Mota da Cadera überquere und die verstreuten Häuser von Cadera Daint erreiche.
Weiter südlich wendet die Bahn teilweise in einem Tunnel die Fahrtrichtung und tut dasselbe bei Foppi da Cadera wieder. Insgesamt befährt der Zug diesen Hang fünfmal, bis er unten in der Talsohle des Poschiavino ankommt. Der Ort heisst Poschiavo wie das ganze Tal.
Mein Weg beschreibt nur eine einzige Spitzkehre. Meistens ist es eher umgekehrt! Also wandere ich nun nordwärts und schwenke bei dem kleinen Bergbach nach links, um zur knapp 200 Meter entfernten Station Cadera zu gelangen. Der Fahrplan hier ist nicht ganz so dicht, wie der in Zürich, aber für die Rückfahrt kommt alle zwei Stunden ein Zug vorbei.
Gletscher bestehen aus Eis, welches aus getautem und wieder gefrorenem Schnee gebildet wurde. Dieser grobkörnige und hart gewordene Schnee heisst Firn. Das Eis gleitet durch die Schwerkraft angetrieben je nach Neigung des Hanges schneller oder langsamer zu Tal und schleift den Grund, aber auch die Seitenwände ab. Das Geröll wird mitgeschleppt. Dadurch entstehen aus den einzelnen Felsbrocken rund geschliffene Steine.
Gestein, das auf die Gletscherzunge fällt, reist auf dem Eis mit Richtung Zunge. Fällt ein Stein durch eine Spalte, wird er vom unten fliessenden Wasser im Kreis bewegt. Dadurch arbeitet er sich bis auf den Felsgrund vor und beginnt, in diesen ein Loch zu schleifen.
Auf diese Weise entsteht eine Gletschermühle, zuerst im Eis selber und anschliessend im Untergrund. Die Grösse des Mahlsteins entscheidet über die zeitliche Dauer dieses Prozesses. Denn er mahlt nicht nur seine Umgebung, sondern auch sich selbst. Er wird erst rund wie eine mittelalterliche Kanonenkugel und dann immer kleiner. Als Schleifmittel dient ihm dabei sein Abrieb und der vom Grund. Der feine Sand wird ausgeschwemmt und hilft, die Steine vorne an der Gletscherstirn zu einer Moräne zusammen zu kitten.
Im Grundgestein entstehen fast märchenhafte Formen und Dellen, die je nach Lichteinfall ihr Gesicht völlig verändern können.
Wer die eigentümlichen Erosionen in den Felsen der Moti da Cavagliola am östlichen Ende der breiten Mulde von Cavaglia entdeckt hat, ist unbekannt. Nach dem Rückzug der Gletscher vor etwa 10’000 Jahren breitete sich die Vegetation in den gebirgigen Regionen recht schnell aus, weshalb es Jäger gewesen sein könnten, welche diese „Töpfe der Riesen“ zu Gesicht bekamen.
Das älteste schriftliche Zeugnis stammt vom reformierten Pfarrer von Brusio, der dieses Naturwunder in seinem Buch „Das Poschiavino-Thal“ als „cirkelförmige Aushöhlungen“ beschrieb. Aldo Godenzi verfasste 1957 seine Diplomarbeit über die Mulde und die Gletscherschwelle von Cavaglia als Zeugen der Späteiszeit.