Von Vrin nach Lumbrein
Marschzeit 2h30min
Strecke 7.9 km auf 387 m ab 432 m
Karte/n 1:50'000 257T
Anforderung:
Wer in die fast berühmte Greina-Ebene gelangen möchte, fährt oder wandert durch das Tal des Glogn, oder auch Glenner, bis zuhinterst und überquert dann den Pass Diesrut. Je weiter das Postauto fährt, desto kleiner werden die Dörfer. Viel mehr als ein Dutzend Einwohner dürfte der Weiler Cons kaum mehr zählen.
Ich verlasse das Postauto in Vrin. Bevor ich mich auf den Weg mache, statte ich der stattlichen Kirche einen kurzen Besuch ab. Die Totenschädel aus der Pestzeit hoch oben am Turm faszinieren mich.
Die Wanderung führt mich zuerst entlang der Hauptstrasse in nördlicher Richtung. Nach einem dreiviertel Kilometer zweigt mein Weg ab und zieht ungefähr parallel zur Strasse durch den Wald zu einer kleinen Brücke über die Aua da Cavel im Val Miedra.
Nach diesem weiten Bogen geht’s gemütlich abwärts zu den Häusern von Curtinatsch. Kurz vor Nassaus wendet sich der Weg wieder dem Berg zu und erklimmt in weiten Kehren Meter um Meter. Mitten im Uaul da Fiugs erreiche ich schliesslich den Kulminationspunkt auf fast 1700 müM und treffe auf das Alpsträsschen zur Staviala Vedra. Hier verlasse ich die Wanderroute 6 und zweige nach rechts ab.
Auf dem leicht abwärts neigenden Weg geniesse ich die Ruhe, denn auf der Strasse weiter unten herrscht heute kein reger Verkehr, die Flieger über mir ziehen zu hoch vorbei und andere Wanderer treffe ich auch keine an. So komme ich genüsslich voran, bis nach einem Kilometer der Wald auf seiner ganzen Länge durchquert ist.
Parallel zum Val da Mulin steige ich nun stotzig ab und komme dem Bach, der sich hier tüchtig ins Zeug, bzw. in die Landschaft, gelegt hat, immer näher. Auf der Hauptstrasse überquere ich ihn und gelange zum Kirchlein Sogn Roc - heisst wohl Heiliger Fels?
Dann empfängt mich das stattliche Dorf Lumbrein mit zwei weiteren Kirchen und drei Restaurants. Im einen setze ich mich an den Tisch, denn das Postauto lässt mir noch genügend Zeit für eine gediegene Mahlzeit.
Auf der Alp Salischina, gegenüber dem letzten Weiler Puzzatsch zuhinterst im Lumnezia gelegen, lebte einst über das ganze Jahr, sommers und winters, ein Mann mit seiner Frau und zwei Söhnen. Diese wurden auf einmal immer schwächer und dünner. Auf ihre Frage erhielten die Eltern die Antwort: „Milch haben wir genug, aber das Brot frisst eine andere.“
Anderntags entdeckte der Vater eine grosse Schlange unter einer Steinplatte hervor kriechen und aus dem Napf der Kinder fressen. Sofort langte er zum Stock und zerschlug dem stolzen Tier den Kopf. Dabei ertönte ein greller Schrei! Aber nicht nur die Schlange war tot, sondern auch die beiden Brüder. Ausserdem löste sich neben der Hütte eine mächtige Rüfe und begrub die fruchtbaren Weiden und Wiesen unter sich. Die Mutter, die das ganze Unglück mitansehen musste, starb kurz darauf an ihrem Kummer. Nur der Vater lebte nun als Einsiedler weiterhin am selben Orte.
Der Pfarrer aus dem Dorfe Vrin liess ihm ausrichten, dass er ihn sonntags zur Messe in der Kirche erwarte. Der Mann folgte der Einladung und begann während der Predigt unvermittelt zu weinen. Am Ende des feierlichen Gottesdienstes lachte er jedoch lauthals, und der Pfarrer erkundigte sich am Schluss der Messe nach dem Grund des seltsamen Verhaltens.
„Weil ich sah, dass aus der Hostie Blut floss und über ihre Hand tropfte. Deshalb musste ich weinen. Dann sah ich auf dem Altar zwei Teufelchen alle Sünden der anwesenden Gläubigen auf einer Kuhhaut notieren. Um alle darauf zu bekommen, mussten sie diese spannen, bis sie zerriss, und die Teufelchen purzelten herunter. Da musste ich lachen“.
Nach dieser Antwort hängte der Mann von Salischina seinen Hut, den er zu Hause aus Tannenzweigen geflochten hatte, an den Sonnenstrahlen auf. Nun bekam es der Dekan mit der Angst zu tun, und er kriegte eine Gänsehaut. Mit zitternder Stimme verbot dem Älpler, je wieder in der Kirche von Vrin zu einem Gottesdienst zu erscheinen. Seither ist ihm niemand mehr begegnet.