Von Passo del Bernina nach Sfazù
Marschzeit 2h
Strecke 7.6 km auf 65 m ab 749 m
Karte/n 1:50'000 279T
Anforderung:
Da sich Strassen viel weniger um Kurvenradien kümmern müssen wie eine Bahnlinie, schlingern die Passstrassen über die Alpen, als ob sie betrunken wären. Aber sie passen sich halt - wenigstens meistens - bestens an die Gegebenheiten der Topografie an. Sie heissen wohl auch deshalb Passstrassen, weil’s passt. Das ist am Bernina nicht anders.
Nach einer fantastischen Busfahrt marschiere ich los bei den Hotels zwischen Lago Bianco und dem viel kleineren Lagh da Cruseta. Parallel zur Strasse verläuft der Wanderweg nach Osten und quert diese beim Pt. 2328, um über die kleine Felsbarriere Camin hinauf zu steigen. Gleich geht’s wieder abwärts zu den Feuchtgebieten im Palü Grande. Nach dem ersten Sumpf mit einigen markanten Felsblöcken treffe ich wieder auf die Strasse, zweige jedoch beim zweiten über Palüeta ab Richtung Stabluvedru.
Der muntere Bach begleitet mich mit seinem Gurgeln hinab in die Ebene Campasc mit den Alphütten. Ich denke, dass das Seelein schon mal grösser war, aber hübsch ist der kleine Rest allemal.
Durch die eng eingeschnittene Kerbe des Val Becal kehre ich zur Strasse zurück, die inzwischen einiges an Schlaufen und Kurven hinter sich hat, und folge ihr fast ebenaus zu den Häusern von La Rösa. Ich bin froh, kann ich in einem der beiden Restaurants den Durst löschen, denn die Sonne hat mich auf dem ganzen Weg mit ihrem warmen Schein mehr als beglückt.
Jenseits des Poschiavino - liegt auch in ihm die Wahrheit? - verläuft der Weg weiter an einem bewaldeten Gupf vorbei zu einer wichtigen Verzweigung. Hier nehme ich den rechten Zweig, der nach unten zeigt und zwischen Pozzol und Sassei zum Weiler Acqueti führt. Weit unter mir bemüht sich auch die Strasse, Höhe abzubauen und kurvt wild durch die Landschaft.
Nach wenigen Metern, beim Waldrand, zweige ich ab und erreiche in zwei spitzen Kehren die Berninapass-Strasse. Diese Variante umgeht ein topografisch heikles Areal und lenkt mich direkt nach Sfazù, wo ich jedoch erst nach einer ausgiebigen Pause in einem der beiden Restaurants das Postauto besteige.
Schon vor Tausenden von Jahren tauschten sich die ebenfalls so alten Kulturen des oberen Engadins und des Veltlins über die Route des heutigen Beninapasses untereinander aus. Diese Tatsache wird durch zahlreiche Funde belegt, die bis zur Bronzezeit zurück reichen.
Bei Teglio, das die Römer Tillium nannten, und dem wahrscheinlich das ganzen Tal Veltlin seinen Namen verdankt, wurden eine ganze Reihe Menhire aus der Steinzeit gefunden. Eigenartige, eingeritzte Figuren verzieren diese Hinkelsteine und belegen den lebhaften Verkehr auf dieser Achse. Dennoch galt die Route nie zu den wichtigen Übergängen, bis der Handel in der zweiten Hälfte des Mittelalters zwischen den beiden Regionen aufblühte.
Allerdings stand die Bernina wegen ihrer peripheren Lage gegenüber dem Septimer und dem Splügen immer etwas abseits im europäischen Transitverkehr. Schliesslich gelangte man über sie nicht auf die Nordseite der Alpen, sondern bloss in ein weiteres Tal. Erst vom Engadin aus konnte man die Alpenkette wirklich queren.
Als die Drei Bünde im Jahre 1512 das Veltlin eroberten und damit zum Nachbarn der Republik Venezia wurden, errang die Regionalverbindung eine gewisse Bedeutung für den Kurierdienst zwischen Lyon und Venedig. Diese führte über die Albula, die Bernina und die Aprica.
Eigentlich besteht die Bernina aus zwei parallel verlaufenden Routen, welche von der Passhöhe hinab ins Val Poschiavo führen. Die eine führt
durch den Talkessel von Cavaglia und wird heute von der Eisenbahn benutzt, und die andere, in welcher die Strasse angelegt wurde, verläuft östlich davon durch das Val Laguné. Die westliche belegt auf weite Strecken das Gebiet über der Baumgrenze und ist deswegen anfälliger für Lawinen, weshalb sie für die Säumer im 18. Jhd. während der Winterzeit verboten war.
Erst im Jahre 1842 wurde mit dem Bau der Passstrasse begonnen. Er dauerte 23 Jahre. Seit der Eröffnung besteht auch das etwas westlich des Scheitelpunktes gelegene Hospiz. Heute wird die grosszügig verbreiterte Strasse ganzjährig offengehalten, obwohl sie nur während 4 Monaten schneefrei ist.