Von Acquacalda (Lucomagno) nach Cambra (Leontica)
Marschzeit 4h30min
Strecke 12.3 km auf 835 m ab 659 m
Karte/n 1:50'000 266T
Anforderung:
Acquacalda ist die letzte Siedlung der breiten Hochfläche auf der Südseite des Lucomagno. Ab hier wird das Tal eng und recht steil. Die Strasse weicht der linken Talflanke aus und nutzt die etwas flachere für weite Kurven. Durch viele Zuflüsse hauptsächlich von Süden ist der Brenno schon zu einem stattlichen Bach gewachsen. Die andere Talseite ist im Spätsommer und Herbst sehr beliebt bei den Pilzlern. Sie fahren von Italien hier herauf und halten sich strikte an die Vorschriften, damit sich der weite Weg auch lohnt.
Nach einem stärkenden Kaffee im Hotel Acquacalda mache ich mich auf den Weg hinab in die kleine Ebene Piano und jenseits der Bäche im Wald aufwärts zu den Hütten Brönich. Gleich geht‘s nochmals hinunter, über eine Brücke und wieder hinauf und hinauf und hinauf den unbekannten Gipfeln zu. Das Valle Santa Maria lasse ich hinter mir, geniesse aber hie und da den weiten Blick darüber hinweg.
Allmählich nähere ich mich der Krete und habe nichts dagegen, dass sie hier einen Knick hat. Das erspart mir etliche Meter Aufstieg. Auf der Passhöhe muss ich mich erst einmal hinsetzen und tief durchatmen. Erst dann sehe ich mich um und entdecke zu meiner Linken das Dorf Olivone mit der markanten Kirche und dem spitzen Sosto dahinter. Fast gegenüber erhebt sich der Punta di Stou und hinter mir verfolge ich den Weg hinunter bis nach Acquacalda.
Vor mir liegt eine topografisch interessante Etappe. Die schiefe Ebene sieht aus, als ob vor längerer Zeit hier einmal ein Stück Fels abgerutscht wäre. Nach einem Schlenker nach rechts erreiche ich die Alpe di San Martino. Bin ich froh, keine Kuh zu sein! Mein Tisch steht waagrecht.
An der Capanna Piandioss vorbei, es sei denn sie wäre geöffnet - dann nicht einfach vorbei - wird deutlich, dass ich viel an Steigung bewältigt haben muss. Ich bin wieder etwa auf der Höhe der Waldgrenze, und die Hütten und Häuser beweisen, dass hier schon einmal Menschen gewesen sein müssen. Ich treffe sogar auf eine Seilbahn, mit der ich in zwei Etappen nach Leontica ohne Anstrengung hinunter fahre.
Nicht weit von der Talstation der Seilbahn, aber durch den wilden und tief eingeschnittenen Ri di Prugiasco getrennt, liegt der Weiler Negrentino. Gerade unterhalb der stolzen und wegen ihrer kunstvollen und teilweise über tausend Jahre alten Fresken auch berühmte Kirche San Carlo wohnen Verena und Felix Kohler. Sie sind im Jahre 1990 aus dem Tösstal ins Bleniotal umgezogen und haben hier ihr neues Leben aufgebaut. Im um- und ausgebauten Rustico entstand nach und nach ein Anwesen von Bergbauern. Sie teilen ihr Leben auf den inzwischen 16 Hektaren mit 25 Alpakas und 50 Schafen.
Das allein wäre je wohl kaum einen Aufsatz wert. Aber dass Frau Kohler die Wolle ihrer Tiere selber schert, spinnt und verstrickt sie selber zu hundertprozentig handgemachten warmen Socken. Wenn die Wollknäuel nebeneinander auf der Veranda liegen, kann sie bei jedem genau sagen, von welchem Tier die Wolle stammt, denn diese haben auch alle einen Namen. Dass sie niemals zum Metzger gebracht werden, versteht sich vor diesem Hintergrund von selbst.
Alpakas stammen aus Südamerika und sind sich von dort ein eher raues Klima gewohnt. Um die bizarre Kälte in den Anden auszuhalten, sind ihre Haare hohl, enthält dafür weniger Wollfett (Lanolin). Das hat viele Vorteile: Auf der Oberfläche der Haare können sich kaum Bakterien wohlfühlen, was sich im fehlenden Geruch niederschlägt. Ausserdem können die hohlen Fasern viel besser die Temperatur regulieren, im Winter geben sie warm, im Sommer bleiben sie kühl. Kommt dazu, dass die feine Alpakawolle kaum verfilzt wie andere Naturfasern.
Da die Tragzeit der Alpakas 11 Monate dauert, passen die Kohlers gut auf, dass nicht eine Stute mitten im Winter zur Welt kommt. Al es trotzdem einmal passierte, durfte das Muttertier mit seinem Cria - so heissen die Jungen in Südamerika - die kältesten Nächte in der Küche verbringen, denn Alpakas sind sehr reinliche Tiere. Nicht wie Schafe und Kühe, suchen sie sich auf der Weide immer zwei oder drei Kotplätze. Die Tiere aus der Küche müssen wie ein Hund regelmässig ins Freie geführt werden.