Von Leontica (Bleniotal) nach Anzonico (Leventina)
Marschzeit 4h30min
Strecke 11.3 km auf 589 m ab 1416 m
Karte/n 1:50'000 286T
Anforderung:
Wer schon einmal ins (oder in den?) Tessin gefahren ist, wird vermutlich die Leventina kennen. Der weniger bekannte und aus der Ostschweiz auch nicht viel längere, aber beschaulichere Weg, führt durch das Bleniotal. Zwischen den beiden Tälern erhebt sich ein lang gezogener Bergrücken mit einer Reihe von Gipfeln, die in fast gerader Reihe stehen und gegen Süden stetig niedriger werden. Der Pizzo Molare ist mit 2585müM der höchste, und der Matro bringt es noch auf 2172müM.
Die hier vorgeschlagene Wanderroute überquert diese Kette zwischen dem Molare und dem Crostel über die Bassa di Nara. Dabei kommt mir die Existenz von zwei Seilbahnen sehr zupass. Mit dem Postauto fahre ich von Prugiasco in einer abenteuerlichen Zickzack-Fahrt hinauf nach Leontica und steige dort auf die erwähnte Seilbahn um. In zwei Etappen erreiche ich Cambra und habe somit den Kräfte zehrenden Aufstieg schon beinahe geschafft.
Parallel zur Trasse eines Skiliftes erklimme ich den bereits sichtbaren Übergang wenig südlich vom Pizzo di Nara und steige auf der Ostflanke hinab zur gleichnamigen Alpe. Von nun an geniesse ich nicht nur den Blick in die - wenigstens verkehrsmässig - pulsierende Leventina, sondern auch den Schatten der Bäume, denn der Weg führt zum grössten Teil durch den Wald.
Über Chèrz und Cassin gelange ich zur sehr abgelegenen Siedlung Aldescio, wohin nicht einmal eine richtige Strasse führt. Aber die Lage ist fantastisch zum Entschleunigen - für die, welche das überhaupt aushalten würden! Nun folgt eine lange Strecke dem Hang entlang, während von unten bei ungünstigem Wind der Lärm von der Autobahn zu hören ist. Bald wird man auch die Züge nicht mehr hören, denn der neue Tunnel verläuft fast senkrecht unter unseren Füssen.
Bei Monte Angone wird der Weg stotziger und benützt mehrere Spitzkehren, um Höhe zu vernichten. So gelange ich nach etlichen Richtungswechseln das Strässchen nach Anzonico und auf diesem ins Dorf mit Bushaltestelle.
Der Lukmanierpass führt ein eher verlassenes Dasein zwischen Disentis im Kanton Graubünden und Olivone im hintersten Bleniotal, das zum Tessin gehört. Von der Surselva, dem Vorderen Rheintal, verläuft die Strasse durch das Val Medel hinauf zum höchsten Punkt in der Galerie etwas nördlich der Passhöhe. Hier liegt er mit 1972müM etwas höher als das Restaurant.
Nicht weit davon auf der südlichen Seite wird der zuckerförmige Dolomit der Pioramulde an der Oberfläche sichtbar. Vor diesem Gestein zitterten die Ingenieure beim Bau des Gotthard-Basis-Tunnels, weil es wirklich ausschaut, wie wenn er aus dem Zuckerstreuer stammen würde.
Auf der Linie dieses Passes stossen das Gotthardmassiv auf die Adulagruppe. Zugleich bezeichnet sie die Europäische Wasserscheide, also die Zuläufe zum Atlantik und zur Ostsee von denen zum geschlossenen Mittelmeer und zum Schwarzen Meer. Das betrifft hier die Flüsse Inn, Ticino, Rhône und Rhein, weshalb die Gegend auch als Wasserschloss Europas bezeichnet wird.
Beim kleinen Weiler Malvaglia im Bleniotal belegte der Fund eines römischen Münzschatzes, dass dieser Alpenübergang bereits zu jener Zeit begangen wurde. Dies wohl nicht zuletzt deshalb, weil die Krete als einzige unter allen Alpenübergängen von Nord nach Süd weniger als 2000müM hoch liegt. Die Marienstatue und das geweihte Hospiz standen früher etwas weiter nördlich, mussten aber dem Stausee weichen und wurden kurzerhand versetzt.
Mit der Zeit verlor der Lukmanier seine Rolle als wichtigste Verbindung an den Gotthard wegen dessen direkterer Linienführung, und heute sind die Menschen an dieser Achse froh, den Hauptverkehr dort zu wissen. Der Splügen, auch ein alter Römerweg, fristet heute ein Dornröschen-Dasein, weil er nicht gut ausgebaut und eher abgelegen ist.
Die beiden Kantone lehnten es gegen Ende des 20. Jahrhunderts ab, die damals auf runde CHF 700‘000 veranschlagten Kosten für die Schneeräumung, weiterhin zu übernehmen. Um die Winterpause so kurz wie möglich zu halten, werden diese Kosten heute von den Bergbahnen der Surselva und der Gemeinde Disentis aufgebracht.