Von Dalpe nach Lago Tremorgio (Rodi)
Marschzeit 4h
Strecke 10.1 km auf 973 m ab 316 m
Karte/n 1:50'000 266T
Anforderung:
Hoch über dem Ticino, der sich in der Enge der Piottino-Schlucht talwärts quält, liegt das malerische Dorf Dalpe. Es besteht aus zwei deutlich getrennten Ortsteilen, dem ursprünglichen Kern mit eng zusammen stehenden Häusern und dem neuen Quartier Cornone an der Südflanke des Motto des Corvo.
Ich verlasse das Postauto bei der Haltestelle am Nordrand des alten Dorfteils und steige alsobald an der Kirche, die zum Weltkulturerbe zählt, vorbei in drei engen Kehren bergwärts.
Im Boscobello habe ich bereits die ersten hundert Höhenmeter geschafft und geniesse den Blick auf die gegenüber liegenden Bergspitzen, hinter denen sich die berühmte Pioramulde versteckt.
Auf dem Fahrsträsschen komme ich gut voran, auch wenn die Kehren näher zusammenrücken. Nach einer guten Stunde lichtet sich der Wald über der Motto Alto und ich quere die Weidegründe der Alpe Cadonigo. Noch etwas weiter oben begrüssen mich die Hütten der Alpe Cadonighino - ist wohl eine Verkleinerungsform?
Über dem Wald gibt’s immer noch etliche verwegene Bäume, die dem gebirgigen Klima trotzen. Aber sobald ich in die stotzige Felswand gerate, fehlen auch die mutigsten. Der Weg erklimmt die Höhe in engem Zickzack. Obwohl ich mich bemüht habe, das Tempo dem Gelände anzupassen, gerate ich etwas ausser Atem, aber auch die Aussicht auf der Krete verlangt nach einer Pause! Am meisten packen mich der fast kreisrunde See tief unter mir und die seltsamen geologischen Formationen mit unzähligen unterschiedlichen Schichten. Deutlich zieht sich der Weg zum Campolungopass durch die Alpweiden.
Ich halte mich jedoch an den Weg steil hinab in nordwestlicher Richtung und treffe schon bald auf die Verzweigung beim Hauptzufluss zum Lago. Dort schwenke ich nach rechts und folge dem guten Pfad durch lichten Baumbestand in die tiefe Kuhle hinab. Im Wald scheint dem Weg plötzlich schwindlig geworden zu sein. In wilden Schlenkern nähert er sich dem See und der Capanna Tremorgio, in der ich mich mit einem schmackhaften Mahl schnell erhole, bevor ich mit der Seilbahn nach Rodi hinunter fahre.
Während Handelsrouten im Flachland in früheren Zeiten Mooren und Seen ausweichen mussten, gab es in den Alpen ganz andere Probleme. In den oft steilen und engen Geländestufen bot sich kaum ein sicheres Durchkommen an. Dann mussten die Säumer mit ihren Packtieren Umwege suchen, um ihre Waren am Zielort auch wirklich heil abliefern zu können.
Der Weg von Rodi über Prato und Dalpe nach Faido (Route „Piottino“) war im 13. Jahrhundert so eine Ausweichroute, weil das Engnis unten am Ticino kaum zu bewältigen war. Die Dörfchen erlebten durch ihre günstige Lage an der wichtigen Verkehrsachse eine bescheidene Blüte, mussten doch häufig Tiere gewechselt oder Säumer ge- und verpflegt werden.
Der im ausgehenden 15. Jahrhundert eröffnete Talweg durch die schmale Schlucht brachte den Gemeinden auf der sonnigen Hochebene eine schmerzliche Wende. Der Schluchtweg war viel kürzer und flacher, weshalb der Verkehr abwanderte - was heute allerdings als Vorteil gelten könnte!
1866 wurde die heutige Ortsgemeinde Prato-Dalpe aus der Taufe gehoben. Die Kirche, in welcher der festliche Akt stattfand, wurde bereits 1387 erbaut, diejenige in Cornone im 15. Jrhd. Anfangs des 20. Jahrhunderts entstand die mit Auto befahrbare Strasse, sie endete aber schon damals in Dalpe, denn die Talflanke nach Faido war zu steil. Erst 1830 fuhr der erste Postwagen auf der durchgehend 5 - 7.5m breiten Strasse von Flüelen nach Chiasso, und das dreimal pro Woche.
Die Dörfer entvölkerten sich bis ins 20. Jahrhundert immer mehr, und heute wohnen nur noch 180 Personen während des ganzen Jahres abseits der Gotthardroute. Die Landwirtschaft ist beinahe ausgestorben, denn die meisten Arbeitnehmer pendeln. Der Ortsteil Cornone erlebte allerdings seit den 50er Jahren einen unerwarteten Aufschwung. Es entstanden zahlreiche Ferienhäuser, sodass während der sommerlichen Ferienzeit bis zu 900 „Einwohner“ gezählt werden. Auch für diese liefert ein Kraftwerk am Flüsschen Piumogna den erforderlichen Strom.