Von Bosco Gurin nach Cimalmotto
Marschzeit 4h30min
Strecke 7.1 km auf 686 m ab 766 m
Karte/n 1:50'000 275T
Anforderung:
Der Passo Quadrella hat nichts mit dem napoleonischen Tanz zu tun, jener heisst Quadrille. Und unten in Cimalmotto, dem Ziel dieser Tour, ist mir um alles andere zumute, als um einen schöngeistigen Tanz auf poliertem Parkett!
Ich lasse mich mit dem Bus nach Bosco Gurin chauffieren. Das Dorf liegt hoch oben zuhinterst im Tal der Rovana, einem Zufluss der Maggia. Mit diesem Service public lässt sich sicher kein Gewinn erwirtschaften!
Vom langgezogenen Parkplatz aus durchquere ich das Dorf und folge dann dem Strässchen entlang des Tales bergwärts. Zu beiden Seiten erheben sich eine Reihe von stolzen Zweitausendern mit bedrohlichen Felswänden. Nachdem das Strässchen in einen Weg übergegangen ist, beschreibt dieser bald das bekannte Zickzack-Muster dort, wo er besonders steil aufwärts führt. So erreiche ich nach etwa anderthalb Stunden den Talkessel Chumma. Bis ungefähr hier wird im Tale deutsch gesprochen.
Mit einem Schwenk nach Süden beginnt der letzte Aufstieg zur gut sichtbaren Kerbe des Passübergangs. Er bildet sozusagen die Sprachgrenze, denn jenseits der Quadrella wird ein sehr ortstypischer Dialekt des Italienischen geredet.
Nachdem ich die begeisternde Aussicht genossen habe, mache ich mich an den Abstieg. Als erstes erreiche ich Quadrella di Fuori, was etwa bedeutet: ausserhalb von Quadrella. Die Häuser dieser Alp sind nicht mehr ganzjährig bewohnt, einige dienen noch als Wochenend- oder Ferienunterkunft.
Den Wassern des rauschenden Baches folge ich weiter abwärts durch den Wald zur Piana del Carbone, offensichtlich einem früheren Köhlerplatz. Bei Cava mit einem der vielen Bildstöcke unterwegs treffe ich auf das Strässchen nach Cimalmotto auf einer wunderschönen Sonnenterrasse hoch über dem Tal der Rovana di Campo. Allerdings kürze ich die weitesten Kehren ab, schliesslich wartet der Autobus am östlichen Dorfausgang.
In der Zeit der Walser-Bewegung im 13. Jhd. suchten sich unzählige Bewohner des deutschsprachigen Oberwallis eine neue Existenz in einem neuen Gebiet. Also siedelten sich auch einige Familien im hintersten Tal der Rovana, einem Seitenarm des Maggiatals, auf 1500müM an. Sie waren sich an das Leben zwischen steilen Bergflanken gewohnt und kannten die Mühen in der Abgeschiedenheit.
In der natürlichen Talmulde gründeten sie ihr neues Dorf und hatten nie vor, jemals ins Tal hinab zu steigen. So konnten sie ihre mitgebrachte Kultur, ihre Religion und ihre eigene Sprache bewahren. Auch Jahrhunderte später sprechen sie noch das typische Ggurijnartitsch im alltäglichen Umgang untereinander. Dadurch liefen sie nie Gefahr, „von aussen“ unterwandert zu werden und schliesslich sich selbst zu verlieren.
Auch die ihnen eigene Art, Häuser zu bauen, ist bis heute erhalten geblieben. Auffallend sind die Stadel oder Gaden genannten Hütten zur Aufbewahrung des Futters für die Tiere. Im Gegensatz zu den meist aus Stein gebauten Tessiner Stadel sind die der Walser mehrheitlich aus Holz (wie im nahen Wallis). Auch ihre Sagen und Legenden über die mystischen Gestalten, den Weltu, stammen noch aus ihrer Urheimat.
Das Dorf steht auf einem ehemaligen Erdrutsch, der zwischen den letzten Eiszeiten vor etwa 150’000 Jahren niederging. Dadurch trifft man auf die unterschiedlichsten Gesteinsarten, die dabei durcheinander geraten sind. Auffallend häufig ist der Gilt, ein dem Speckstein sehr nahen Verwandten Talkgestein, das auch in der Surselva vorkommt. Er eignet sich hervorragend für den Ofenbau sowie für die Produktion von Gips für den Bau.
Auch klimatisch grenzt sich das Tal von der Umgebung ab. Die Winter sind unter dem häufigen Nordwind relativ trocken und sonnig, während die Niederschläge mehrheitlich im Frühjahr und Herbst fallen. Im Sommer profitiert es, wie der restliche Tessin auch, vom Mittelmeer.
Da die Bevölkerung während er letzten Jahrzehnte drastisch schmolz, versuchten die Bleibenden mit einem sanften Tourismus diese Entwicklung aufzuhalten. Mutige Projekte, zwei Seilbahn-Sektionen, etliche Sesselbahnen und Schlepplifte, sowie grosse Parkplätze, holten den Wintersport ins Tal hinauf, und der Kanton half mit einer gut ausgebauten Strasse.