Von Altanca (Piotta) nach Osco (Faido)
Marschzeit 3h30min
Strecke 11.2 km auf 502 m ab 735 m
Karte/n 1:50'000 266T
Anforderung:
Strada alta meint eigentlich die ganze Strecke an der östlichen Talflanke der Leventina von Airolo hinunter bis Biasca. Der gesamte Weg lässt sich an einem Tag nicht bewältigen, weshalb sich in verschiedenen Ortschaften Gasthäuser auf „Langstreckenwanderer“ eingerichtet haben. Hier wird man nicht nur mit allerlei Spezialitäten verköstigt, sondern auch beherbergt.
„Meine“ Strada alta“ startet in Altanca und lässt das lange Asphaltstück von Airolo bis zur Seilbahn von Piotta nach Piora weg. Bei der Mittelstation verlasse ich also die Standseilbahn (es gäbe auch eine Treppe!) und folge dem Strässchen nach Altanca, einem Dorf mit ursprünglichem Charakter auf einer sonnigen, leicht abfallenden Terrasse. Leider gibt es zum Strässchen keine Alternative! Erst ausgangs des Dörfchens Ronco verlässt es der Wanderweg bis kurz vor Deggio.
Bis hierher senkte sich der Weg von der verstreuten Siedlung Cresta weg immer leicht abwärts, aber nach Lurengo, dem nächsten Dorf steigt er wieder leicht an. Von überall besteht die Möglichkeit, mit dem Postauto hinab in die Talsohle zu fahren und die Wanderstrecke abzukürzen. Aber hier oben, fast 300 Meter über der Auto- und der Eisenbahn, ist die Welt noch nahezu in Ordnung - wenigstens das, was viele darunter verstehen, die nicht hier leben müssen.
Im Bosco d‘Öss wird der Pfad stotzig - richtig steil. Es geht über 400 Meter hinab nach Freggio. Unter unseren Füssen beschreibt die Bahntrasse einen engen Kreis, um die Steigung oder das Gefälle so gering wie möglich zu halten. Bei der Brücke über einen wild schäumenden Bach habe ich den tiefsten Punkt erreicht, und jenseits liegt der Ort Vigera wieder fast 300 Meter höher. Das ist recht Schweiss treibend, aber das Ziel ist nicht mehr fern. Einen knappen Kilometer später gelange ich nach Osco. Von hier lasse ich mich vom Bus hinunter an den Ticino fahren oder ich beziehe mein reserviertes Zimmer im Albergo, um am nächsten Tag weiter zu wandern.
Die Sprache, und mit ihr auch die entsprechende Schrift, klingt oder erscheint auf den ersten Blick alles andere als italienisch. Die vielen Umlaute, vor allem das ö, sind jedoch typisch für den Dialekt in der oberen Leventina - auch wenn sie wie türkisch anmuten mögen. Dieser Dialekt hat jedoch nichts mit dem Osmanischen Reich als vielmehr mit dem in der Nachbarschaft gesprochenen Rätoromanischen zu tun. Daneben ist auch der Einfluss des Deutschen aus dem nahen Urnerland nicht zu übersehen oder -hören.
Dieses Gemisch entstand, weil die Leventina nicht nur im nationalen sondern auch internationalen Verkehr über den Gotthard eine wichtige Rolle spielte. In vorigen Jahrhunderten liess sich mit der Kontrolle des Alpenüberganges gutes Geld verdienen, indem man Strassenzölle erhob oder ganze Pferdegespanne vermietete. Ab dem 16. Jahrhundert beherrschte der Kanton Uri das Tal und schlug auch eine Revolte der Ansässigen brutal und blutig nieder. Erst mit dem Fall der alten Eidgenossenschaft endete dieses eher unfreundliche Gastspiel, in dem auch die Mailänder mitmischten. Ihre entscheidende Niederlage kassierten sie bei der Schlacht von Giornico.
Heute ist es um die Leventina wesentlich ruhiger geworden. Die grossen Verkehrsströme auf der A2 und auf der Bahnlinie - bald einmal sogar durch den Basistunnel - fahren einfach vorbei, denn Zeit ist Geld und Geld ist alles. Der einstige Wohlstand ist längst verflogen, der Tourismus köchelt auf kleinster Sparflamme vor sich hin und an den historischen Prunkbauten bröckelt der Putz.
Arbeitsplätze, mit denen die Bevölkerung gehalten werden könnte, gehen immer mehr verloren, sogar unsere Bundesbahn würde ihre Werkstätten an der Trassee der ehemals so wichtigen Route über den Gotthard am liebsten zumachen.
So bleiben als treue Verbündete noch die auffällig gelben Wegweiser der Wanderer, von denen man dank des Wanderbooms in diesen Jahren immer öfters mal einige in dieser malerischen Gegend antrifft. Wer dem Mondänen in den bekannten Destinationen fliehen möchte, ist hier sehr gut aufgehoben, denn Oberflächlichkeit und Arroganz sind hier fern. Vielmehr erlebt man wohltuende Gastfreundschaft und Zuwendung.