Von Olivone nach Dongio
Marschzeit 3h30min
Strecke 12.7 km auf 222 m ab 633 m
Karte/n 1:50'000 266T
Anforderung:
Das Schlimmste, was dem Bleniotal widerfahren könnte, wäre die Radiomeldung: „... als Ausweichroute für den überlasteten Gotthard-Tunnel benützen Sie den Lukmanierpass.“ Das wäre wohl der Todesstoss für das malerische, eher ruhige Tal von Olivone hinab nach Biasca. Natürlich herrscht auf der Strasse entlang des Brenno auch Verkehr, dafür ist sie ja da. Aber den bald täglichen Kollaps auf der Leventina-Route gibt es hier nicht.
Diese Flusswanderung, die sich nicht stur an das Ufer hält, beginnt in Olivone. Der beschauliche Ort liegt am Fusse des spitzen und markanten Sosto beim Zusammenfluss der beiden Quellarme des Brenno. Der eine hat seine Quelle etwa einen Kilometer südlich der Lukmanierpasshöhe, der andere entspringt an der Südflanke des Piz Medel.
Der Wanderweg führt mich zuerst an der stattlichen Kirche vorbei und senkt sich dann nach Süden an den Flusslauf. Parallel zur Strasse zieht er sich talauswärts und erreicht den etwas erhöht gelegenen Weiler Ponto Aquilesco, bevor er zu den ersten Häusern des langgezogenen Dorfes Aquila gelangt. Schon bald entschwindet der Brenno meinen Blicken, denn der Weg verläuft nach der Durchquerung der ebenso sehenswerten Dörfer Dangio und Torre mit ihren typischen Tessiner-Häusern „hinter“ einem massiven Hügel. Diesen hat wohl der Gletscher vergessen, als er sich seinerzeit zurück gezogen hat.
Erst bei Grumo treffe ich wieder in die Nähe des Flusslaufes, wenigstens so nah, dass ich das Rauschen des Wassers wieder hören kann. Offenbar tobte der Bach recht häufig mit viel Wasser, bevor es von der Staumauer bei Campo zurück gehalten wurde. Jedenfalls stehen alle Dörfer in respektablem Abstand. Von Lottigna aus sehe ich auf der gegenüber liegenden Talseite etliche Dörfer, die ebenfalls die Sicherheit am Hang gesucht haben. Von weiter oben grüssen Leontica und die Gipfel der Bergkette, die das Bleniotal und die Leventina trennen.
Nun wird das Tal enger, fast eine Schlucht, und für den Weg bleibt nicht mehr viel Platz. Dafür kann ich mich würdig vom Brenno verabschieden, bevor ich in Dongio den Bus besteige.
Das Tal, das historisch deutsch Palenzertal genannt wurde verbindet den Bündnerischen Lukmanierpass mit der Tessiner Region Bellinzona. Es ist ungefähr 20 Kilometer lang vom Zusammenfluss der beiden Quellbäche Brenno di Lucomagno und Brenno bis hinab zur Mündung in den Ticino bei Biasca.
Die beinahe 20 Ortschaften haben sich vor einigen Jahren zu drei Gemeinden zusammen geschlossen, denn nur zusammen lassen sich die gewaltigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme lösen, wenn überhaupt. Daran ändert auch der Übername Valle del Sole nicht viel.
Schon zu Zeiten der hier ansässigen Kelten benutzten schon 200 Jahre vor Christus die Alpenübergange über den Lukmanier, den Passo del Sole sowie den Greina- und den Diesrutpass über den Alpenkamm. Das Bleniotal wurde auch als Verkehrsweg von den verschiedenen Kaisern des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation benutzt. Während der Zeit des Streits zwischen Kaiser und Papst standen die Leute im Tal, das zu den Hoheitsgebieten der Mailänder Domherren gehörte, auf der Seite des Papstes. Die Zerstörung des Schlosses Serravalle, das den durchziehenden Kaisern Schutz bot, geht auf das Konto der Einheimischen. Die erhaltene Ruine ist noch heute zu sehen.
Im Jahre 1521 stürzte die Ostflanke des Monte Crenone ins Tal und begrub den nördlichen Teil des Ortes Biasca unter sich. Die gewaltigen Steinmassen stauten den Brenno zu einem 4 Kilometer langen See, bis der Schutt dem wachsenden Druck nicht mehr Stand hielt, und eine Flutwelle verwüstete nicht nur Biasca, sondern die ganze Riviera und die Magadinoebene. Ein weiterer Bergsturz 1868 zerstörte das Dorf Loderio mit allen 400 Einwohnern.
Schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts reifte der Plan einer Bahnlinie durch das Bleniotal und über den Lukmanierpass nach Diesentis. Als aber die Strasse durchgehend gebaut war, bestand für die Bahn kein Bedürfnis mehr. So fuhren zwischen 1911 und 1973 lediglich Züge auf der Schmalspurtrasse von Acquarossa nach Biasca, was dem Tal immerhin einen Anschluss an das nationale Netz brachte.