Von Lavertezzo nach Sonogno
Marschzeit 4h
Strecke 13.6 km auf 670 m ab 287 m
Karte/n 1:50'000 276T
Anforderung:
Die Verzasca ist ein wildes Gewässer in einem sehr urtümlichen Tal. Erst ganz unten wurden diesem Bach sozusagen die Zähne gezogen mit einer Staumauer, die einen 5.5 km langen, schmalen See verursacht. Diese Mauer wurde weltberühmt durch den James-Bond-Film „Golden Eye“, weil 007 sich von der höchsten Staumauer der Schweiz im besten Filmstunt der Welt über 200m abseilte. Seither sollen über 10‘000 Bungeespringer von der Krone hinab gesprungen sein.
Ich möchte diesem Rummel ausweichen und starte die Wanderung erst in Lavertezzo, wo der Wanderweg gleich zu Beginn über die Ponte dei Salti aus dem 17. Jahrhundert auf die andere Seite des Flusses führt. Ab hier folge ich dem Wasserlauf und begegne halb oder ganz zerfallenen Rustici, dem Weiler Motta jenseits des Wassers und mehr oder weniger bewohnten Häusern.
Nach einer guten Stunde treffe ich auf die Strasse, auf der ich wieder den Bach überquere und sogleich wieder nach links abzweige. Ab und zu verzweigt sich auch der Bach und bietet manche Möglichkeit, sich auf die grossen Grantisteine zu setzen und nur dem Rauschen und Plätschern zu horchen. Alnasca nennt sich die nächste Siedlung. Hier herrscht vor einigen Gebäuden noch reges Leben, schliesslich ist das Dörfchen auch per Auto erreichbar.
Der Weg zieht sich weiter an Gerra vorbei, aber es besteht die Möglichkeit, über die Brücke eine Bushaltestelle zu erreichen. Dies gilt ebenso in Croce oder später in Frasco. Meist finden sich auch Gasthäuser oder Grotti, die einiges gegen den Durst oder den Hunger anzubieten haben. Ansonsten gibt es wunderschöne Ecken für ein Bild ins Fotoalbum oder ein Picknick.
Nach einem Abstecher nach Frasco, wechsle ich über die Strassenbrücke die Talseite und steig auf dem Strässchen in den Wald hinauf, um den Blick von oben zu geniessen. Bald erreicht der Fussweg wieder die Talsohle und trifft sich mit dem direkten Weg aus dem Dorf.
Die letzte Etappe führt mich wieder auf der östlichen Talseite zur Mündung der Redorta in die Verzasca. Hier liegt das hinterste Dorf des Tales Sonogno. Wer nicht am gleichen Tag die Heimreise antreten möchte, findet hier oder auch in Frasco Übernachtungs-Möglichkeiten, die man sich aber vorteilhafterweise im Voraus reservieren lässt!
Im wilden Verzasca-Tal mit seinen steilen Flanken begegnen wir nicht nur einem ungezähmten Fluss mit vielen Nebenflüssen und etlichen recht spektakulären Wasserfällen. Die Häuser sind mit dem für dieses Tal typischen, gestreiften Gneis erbaut und mit weissen Fenster-Umrahmungen verziert. Das Dach besteht aus schweren Steinplatten, die dem Wetter jahrhundertelang trotzen, wenn die Balken darunter mitmachen.
Das Tal ist rund 25km lang und dem Fluss entlang reihen sich zahlreiche kleine bis winzige Weiler, die zum Teil heute nicht mehr bewohnt sind. Die hohen Bergspitzen, welche das Tal umgeben machen es schwierig, zum Beispiel Landwirtschaft zu betreiben, auch wenn das Klima recht mild ausfällt. Reben und Kastanien gedeihen recht gut, sind jedoch nur schwierig gewinnbringend zu vermarkten, denn die Parzellen sind klein. Dem aufmerksamen Wanderer fallen jedoch die reichhaltige Flora und Fauna auf. Neben seltenen Blumen am Wegrand leben hier - und nur hier - noch die letzten Tiere der einstmals verbreiteten schwarzen Verzasca-Ziege. Sie ähnelt der von den Römern hergebrachten Rasse, wie Funde in Augusta Raurica gezeigt haben.
Es waren auch die Römer, welche die Edelkastanie hierher gebracht haben, und noch heute ist sie die dominierende Holzart. Ihr Holz hat änhliche Eigenschaften wie tropische Hölzer, aber die Kastanienwälder werden nicht mehr bewirtschaftet. Wer sie noch für den Eigenbedarf pflegt, sägt die alten Bäume knappe zwei Meter über dem Boden ab, worauf der Baum neue Triebe bildet. Eigentlich gilt das Kastanienholz als ein sehr wertvolles Holz, weil es sehr witterungsbeständig ist. Die Dachbalken der alten Rustici bestehen fast ausnahmslos aus Kastanienholz.
Während der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts verbreitete sich die Arbeitslosigkeit auch bis ins Verzascatal. Da wichen die Talbewohner aus auf typische Handwerksarbeiten, die in Kleinstbetrieben erfolgreich betrieben werden konnten. Um die Not zu lindern begannen sie mit der Färbung von Wolle mit natürlichen Farben aus Wurzeln, Blättern und Früchten. Die Handspinnerei, Strickerei und Holzschnitzerei ergänzten das Einkommen. Aus diesen Bemühungen entstand die „Pro Verzasca“. Diese örtlich begrenzte Vereinigung versucht seither, die materiellen Interessen der Bewohner dieser Region zu wahren und zu vermehren mit den vorhandenen Ressourcen.