Von Chermignon-d'en-Bas nach Lens
Marschzeit 2h
Strecke 7.4 km auf 352 m ab 133 m
Karte/n 1:50'000 273T
Anforderung:
Die Bisses - oder Suonen, wie sie im deutschsprachigen Teil des Wallis heissen, stammen zwar aus vergangenen Jahrhunderten, aber sie durchziehen die Talflanken noch heute und werden auch noch immer benutzt.
Meine Wanderung startet in Chermignon-d’en-Bas, etwa 1km südwestlich von Montana. Oberhalb der unübersehbaren Kirche verlasse ich die Siedlung in westlicher Richtung und steige merklich aufwärts. Nach einer halben Stunde und rund hundert Höhenmetern treffe ich bei Revouire auf den oberen Wanderweg von Diogne her und die im Titel erwähnte Bisse.
Diesem Wasserlauf folge ich nun entgegen der Fliessrichtung und horche dem leisen Geräusch des eilenden Wassers. Kein Mensch begegnet mir und ich lasse meinen Gedanken freien Lauf. Weitere Wege kreuzen meine Route, aber es gibt deswegen kein Orientierungsproblem: Der schmale Kanal weist mir die Richtung.
Nach der engen Strassenkehre trete ich in den Schatten des Waldes von La Vèreille. Bei der gleissenden Sonne ein sehr willkommenes Geschenk. Nach knappen 2 Kilometern erreiche ich die Geländekante, die sich fast schroff nach unten zieht - aber auch nach oben! In vielen Schlenkern erklimmt mein Weg, begleitet von felsigen Steinbändern, die Höhe La Châtelard.
Auf dem höchsten Punkt treffe ich eine ganze Gruppe von Wegkreuzen an. Sind vielleicht schon so viele Wanderer hier zu Tode gekommen? So gefährlich schien mir dieser Aufstieg dann doch nicht, aber eventuell handelte es sich um junge Menschen, welche bei den gefährlichen Arbeiten an der Bisse umgekommen sind?
Dass hier oben gar ein Fussballfeld zu finden ist, hätte ich nie gedacht, aber dieser Sportplatz dürfte wohl noch der wahren Freude am Spiel dienen und weniger dem Krawall mit Pyros.
Schliesslich erreiche ich Lens, ein Dorf mit immerhin über 4000 Einwohnern und einer ganzen Reihe von Bushaltestellen für die Rückfahrt.
Wenn die Seelen der Verstorbenen in einem langen Umzug ganze Nächte durchwandern, nennt man dies einen Gratzug. Wer in eine derartige murmelnde und summende Prozession hinein gerät oder überrascht wird, soll einer bösartigen Krankheit verfallen. Die häufig benutzten Routen solcher Umzüge heissen im Volksmund Tschingelwege.
Die Geister gehen auf ihren Marsch in genau den Kleidern, in denen sie damals in die kühle Erde gelegt wurden oder auch in den Anzügen, welche die Trauernden auf dem Friedhof getragen haben.
In einem Seitental des Wallis meinte einst ein Bauer, der friedlich in seinem Haus schlief, zu hören, wie sein Name dreimal gerufen wurde. Die fremde Stimme, in welcher er seinen Vater zu erkennen glaubte, trug ihm auf, oben im Lärchenwald die frisch geschlagenen Bäume für den Gratzug zur Seite zu räumen und den Weg frei zu machen. Also zog er sich flugs an, eilte mit ausholenden Schritten bergan und tat, wie ihm geheissen.
Kaum hatte er den letzten Stamm mühsam aus dem Weg geräumt, vernahm er schon ein seltsames Brummen, das sich rasch näherte. Zwischenhinein wurde laut getrommelt und schrill gepfiffen wie an einem Fasnachtsumzug. Er hörte auch allerlei seltsame Musik, sanfte Harfenklänge und scheussliche Kakophonie, sowie helles Gelächter, das in den Felsen schauerlich widerhallte.
Ein heftiger Windstoss durchfuhr plötzlich den Wald und liess das Gehölz wanken und rauschen. Da sah er durch seine zugekniffenen Augen schwarze Schatten an ihm vorüber huschen. In diesem Moment schlug die Kirchglocke zwölf Uhr. Nun erkannte er Gestalten, welche zu zweit oder zu viert neben einander an ihm vorbei eilten. Die einen trugen elegante Kleider aus ausgesuchten Stoffen, andere waren lediglich in Lumpen gehüllt. Wieder andere humpelten an Krücken oder waren halbnackt.
Der Bauer sah sich das Geschehen regungslos auf seinem Baumstamm sitzend an und wunderte sich, dass er zum Schluss dieses Gratzuges die Kirche dreimal schlagen hörte. Er hatte gar nicht gemerkt, dass das schaurige Schauspiel so lange gedauert hatte. Erst als er aufstand, bemerkte seine vom Angstschweiss durchnässten Kleider.