Von Sion nach Saint Léonard
Marschzeit 2h
Strecke 6.3 km auf 232 m ab 288 m
Karte/n 1:50'000 T273
Anforderung:
Es gibt im Wallis ungezählte Suonen und Bisses, aber oft verlangt das Wandern diesen künstlichen Wasserkanälen entlang Schwindelfreiheit. Wer sich krampfhaft irgendwo halten muss und keinen Blick nach hinten in die Tiefe wagt, der hat kaum Spass an einem solchen Trip!
Deshalb habe ich die Bisse de Clavau ausgesucht. Diese folgt nicht einer senkrechten oder gar überhängenden Felswand und überquert auch keine schauerlich tiefen Schluchten, sondern verläuft durch einen terrassiert angelegten Rebhang mit fantastischen Trockenmauern und wird begleitet von einem Spazierweg, der auch für Kinder problemlos zu bewältigen ist.
Wo die Umfahrungsstrasse nordöstlich der Stadt aus dem Tunnel bei Le Mont aus den Felsen tritt, mündet sie in einen grossen Kreisel. Hier zweigt die Strasse nach Champlan und Grimisuat ab - und hier (ein paar Meter südlich!) beginnt der Wanderweg hinauf zur ersten Spitzkehre. Die hässlichen Fabriken an der Sionne lassen ich hinter und unter mir und treffe bald auf den munteren Bewässerungsbach. Dieser wird mich nun auf dem ganzen Weg begleiten, mal in neuzeitlichem Betonkleid, mal in einem gegrabenen Erdbett und mal als Teil der atemberaubend hohen Trockensteinmauern.
Die nächste Stunde ist rasch erzählt: So lang die Bisse links von mir verläuft und beide Seiten von Reben bewachsen sind, stimmt die Richtung! Ab und zu beobachte ich seltsame Gestänge auf Stelzen, welche die Rebhänge durchziehen. Das sind kleine Seilbahnen, welche während der Ernte die gelesenen Trauben zum Sammelplatz fahren.
Unterhalb von Signèse besteht die Möglichkeit, die ohnehin nicht sehr lange Tour etwas abzukürzen. Ich schlage jedoch vor, weiterhin der Bisse zu folgen bis zum abrupten Ende des sanften Hanges an der Kante der Felswand. Weit unten rauscht die Liène, deren Tobel ich nun südwärts folge nach St-Léonard. Hier befindet sich der bekannte unterirdische See, zu dem leider kein Wanderweg besteht. Falls Sie aber noch Zeit haben, sollten Sie sich diese Sehenswürdigkeit nicht entgehen lassen. Von der ersten Brücke über die Liène ist noch ein knapper Kilometer.
Unter dieser Bezeichnung versteht man Mauern, deren Steine trocken, also ohne Zuhilfenahme von Mörtel oder irgend einem Kleber aufeinander geschichtet sind. Dank ausgefeilter Technik, die früher von Generation zu Generation weiter gegeben wurde, ist es möglich, bis zu 30 Metern hohe Mauern aufzuschichten. Diese sind vor allem in Rebhängen und bei Reisterrassen anzutreffen. Kleinere, das heisst niedrigere Trockenmauern spielen im Gartenbau, Brunnenbau und früher im Hausbau eine Rolle. Im Tessin finden wir unzählige Rustici, bei denen nicht nur die Mauern in dieser Technik errichtet worden sind, sondern auch noch das Dach mit Steinplatten gedeckt wurde.
Im Rebhang östlich von Sion, wo unsere Wanderroute verläuft, ist der gesamte Hang mit Trockensteinmauern terrassiert. Etwas über dem Suon, also der Bisse de Clavau, entdecken wir gar die höchste von Europa. Über weite Strecken verläuft der Bewässerungskanal dem Fusse einer solchen Mauer entlang. Diese beherbergen Dutzende von Kleintierarten, wie verschiedene Eidechsen und andere Insekten sowie Mäuse und weitere Nagetiere. Wenn Sie aufmerksam wandern, begegnen Sie sicher dem einen oder anderen Geschöpf, das jedoch blitzschnell zwischen den Steinen verschwindet, sobald es Ihrer gewahr wird.
Nicht zu dieser Kategorie Steinmauern zählen die Steinkorbmauern, die heute im Fluss- und Strassenbau immer mehr Verwendung finden. Die massiven Drahtkörbe werden dabei mit Geröll gefüllt und aufeinander geschichtet. Auch sie bieten Kleintieren Unterschlupf, und ermöglichen verschiedenen Pionierpflanzen im eingeschwemmten Humus Wurzeln zu schlagen. Dies wird bei „richtigen“ Trockensteinmauern nicht gern gesehen, weil sich dadurch die Fugen vergrössern und dadurch die Stabilität zerstört wird.
Diese Mauern sind besonders deshalb im Weinbau häufig zu sehen, weil diese Steine ausgleichend auf den Wärmehaushalt dieser Hangterrassen wirken. Die gespeicherte Sonnenwärme des Tages wird in den Nächten wieder an den umliegenden Boden abgegeben. Ausserdem sind diese Mauern wasserdurchlässig und dadurch stabiler als Betonmauern. Das verhindert auch die Pfützenbildung in den Terrassen bei starken Niederschlägen oder der Schneeschmelze.