Von Miège nach Susten
Marschzeit 3h
Strecke 9.6 km auf 496 m ab 575 m
Karte/n 1:50'000 273T
Anforderung:
Irgendwo im Wallis verläuft die Sprachgrenze zwischen deutsch und französisch, denn im oberen Teil des Tales heisst die Rhône Rotten. Die Dörfer in der Nähe dieser Grenze haben zwei Namen, denn ganz genau - so wie die Landesgrenze - kann die Sprachgrenze nicht klar gezogen werden.
Meine Wanderung startet im noch ganz französisch sprechenden Miège, ungefähr nördlich von Sierre am nach Süden gerichteten Hang mitten in den weiten Rebhängen. Von der Dorfmitte führt der Weg nach Osten und erreicht bald die Raspille, die von der Plaine Morte am Wildstrubel gespiesen wird. Auch ihr Wasser wird an manchen Stelen in die künstlich angelegten Suonen abgezweigt, um die Reben zu tränken.
Der nächste Ort heisst Salgesch oder Salquenen. Wie Miège schmiegt es sich an den Hang, was es seit jeher von den ehemals gefürchteten Hochwassern der Rhône zu bewahren. Kurz nach der stolzen Kirche zweige ich von der Hauptstrasse ab und steige auf der kleineren bergan. Einige Kehren kürze ich ab und gelange an den südlichen Waldrand. Die Flur- und Ortsnamen klingen jetzt nicht mehr französisch, aber die hier gängige Sprache tönt in unseren Ohren trotzdem nicht nach deutsch, der Bach, der ebenfalls eine deutlich Kerbe in den Hang gegraben hat heisst Gulantschi.
Der Blick hinab ins Tal zeigt eine wild verzweigte Rotten in einem weiten Bett und auf der anderen Seite das geschützte Naturreservat des Pfynwaldes. Dieser Flussabschnitt ist ebenfalls geschützt und wird seine urtümliche Form behalten dürfen. Oberhalb von Susten und unterhalb von Sierre wurde der Flusslauf begradigt und kanalisiert.
Der direkte Weg nach Leuk ist versperrt durch das felsige Tobel der Dala. Ich muss deshalb fast bis auf den Talboden hinab steigen, um danach wieder leicht aufwärts ins Dorf zu gelangen. Hier kommt die Bahnlinie nach einem längeren Tunnel wieder ans Tageslicht, was mir erlaubt, im Bahnhof jenseits der Rotten auf meinen Zug für die Heimreise zu warten.
Gibt es nicht auch im Thurgau ein Pfyn? Sicher, und vermutlich stammt auch dessen Name aus dem Römischen und bedeutet Föhre. Entsprechend heisst der Pfynwald im Wallis auch Forêt de Finges. Er ist einer der grössten zusammen hängenden Föhrenwälder in Europa. An diesem Naturschutzgebiet an der Grenze zwischen dem französisch sprachigen Unterwallis und dem deutsch sprachigen, oberen Teil des Rhônetals sind insgesamt 12 Gemeinden beteiligt.
Früher war die Gegend gefürchtet, weil - so erzählt man sich - allerhand finstere Gesellen den zahlreichen Händlern auflauerten. Deshalb zogen es die Reisenden schliesslich vor, den Weg über die tiefe und enge Dalaschlucht nach Leuk zu nehmen. Dort gab es für Wegelagerer keine so guten Verstecke wie zwischen den vielen Bäumen unten im Tal.
Diese Zeiten sind längst vorbei! Der Tourist begegnet nur noch anderen Naturfreunden seit die verschiedenen Umweltverbände dieses einmalige Areal pflegen und unterhalten. Für Wissbegierige besteht ein Naturlehrpfad zu den interessantesten Plätzchen im Park. Dort lassen sich Raritäten der Pflanzen- und Tierwelt bestaunen. So ist der gesamte Park unterteilt in verschiedene Untergebiete, die jedes für sich ein wertvolles Kleinod darstellt. Die vorhandene, hohe Artenvielfalt gründet nicht zuletzt auf dem äusserst warmen und trockenen Klima, das sonst eher am Mittelmeer anzutreffen ist.
Daneben bewundert der Besucher eine raue Landschaft mit der ungezähmten, wild mäandrierenden Rhône und die durch sie ganz einmalige gestalteten Auenlandschaft, welche dauernden Veränderungen unterworfen ist. Murgänge werden nicht verhindert, Feuer nicht gelöscht und Uferbefestigungen sucht man vergebens. Die Natur lebt so, wie sie will und die Lebewesen dieser Landschaft sind gezwungen, sich immer neuen Situationen anzupassen.